KAPELLE SIEBEN SCHMERZEN MARIA, GETSCHWILER
In den Getschwiler Bergen, eine knappe Stunde oberhalb von Spiringen, liegt die Kapelle «Zu den sieben Schmerzen Marias». Der Weg in die Bergheimwesen und zum Klausenpass führt unmittelbar neben dem Kirchlein vorbei. Ein Kranz imposanter Berge schliesst den Ort nach drei Seiten ab, während talauswärts der Blick sich gegen die Gebirgskette des Gitschen weitet.
Das Heiligtum ist der religiöse Mittelpunkt der weit verstreuten Bergbauerngehöfte. Wanderer ziehen vorbei und verweilen, still und staunend. Die Priester der Pfarrei Spiringen halten regelmässig Gottesdienst in der Kapelle. Menschen kommen mit Freuden und noch mehr mit Sorgen. Die vielen Ex Votos, die Tafeln im Vorzeichen und die silbernen Weihegaben neben dem Altar, erzählen davon und zeugen von Gebetserhörungen und gefundenem Trost.
Entstehung und Entwicklung
An die Entstehung der Kapelle knüpft sich eine fromme Legende. Am Weihnachtsfest 1568 ging Joachim Johann Cunradt von der Leematt mit seinem Knecht Klaus im Tobel zur Pfarrkirche in den Gottesdienst. Da fand er im «Espan», einem Stück Allmend unter dem Weg zum Getschwiler, ein Kruzifix. Leute wollten am Fundort wunderschöne Melodien gehört und nachts farbige Lichter bemerkt haben. Als Azarias Püntener, Hauptmann in päpstlichen und französischen Diensten, der Besitzer des Getschwilers, dies vernahm, beschloss er, zu Ehren der Schmerzensmutter eine Kapelle zu bauen. Wieder in den Kriegsdienst abberufen, übertrug der Stifter das Vorhaben seinem Bruder Heinrich Püntener. Dieser nahm sich dem Bau tatkräftig an und spendete zudem unter anderem für den Altar das Bildnis «Unserer Frouwen Mitlyden». Schon 1571 war das Kapellchen vollendet. Die Einweihung zu Ehren der schmerzhaften Mutter und des heiligen Kreuzes erfolgte 1576. Das Kirchlein war dem jeweiligen Besitzer des Getschwilers eigen, der auch den Unterhalt zu tragen hatte. 1595 gehörte das Heimwesen Vogt Jakob Steiger. Um dem wachsenden Zustrom der Gläubigen zu genügen, liess er eine zweite, grössere Kapelle bauen. Sie entsprach in etwa den Dimensionen der heute bestehenden und konnte 1599 eingeweiht werden. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts kam der Getschwiler an Azarias Püntener, den Sohn des ersten Erbauers Heinrich Püntener. Azarias war Hauptmann in spanischen Diensten und Ritter des heiligen Grabes. Er bestellte 1609 bei Dionys Calvaert, dem niederländischen Kunstmaler in Bologna, ein neues Hochaltarbild. Die Kapelle kam 1749 ins Eigentum von Karl Florian Jauch (1712-1780), der mit Klara B. Tanner verehelicht war. Von ihnen wurden die beiden Seitenaltäre gestiftet. Später ging der Getschwiler in den Besitz der Familie Arnold über. Der letzte Eigentümer Peter Arnold übertrug die Kapelle 1910 der Kirchgemeinde Spiringen. 1913 folgte nach dem Rat von P. Albert Kuhn OSB eine gründliche Renovation. Kunstmaler Hermann Liebich, Einsiedeln, steuerte unter anderem den Kreuzweg und die Dekorationsmalereien bei. Schreiner Emil Denier, Bürglen, schuf die Kassettendecke. Die Gottesdienste wurden nun zahlreicher. Seit 1935 wir das Allerheiligste in der Kapelle aufbewahrt. Grössere Renovationen erfolgten 1954 und 1975. In den Jahren 1995-1996 unterzog die Kirchgemeinde die Kapelle einer Gesamtrenovation.
Beschreibung
Die Kapelle ist nach Osten ausgerichtet. Der Bau hat im Schiff einen rechteckigen Grundriss und eine Fensterachse. Ein weiteres Fensterpaar erhellt den dreiteilig schliessenden Chor. An der Südostecke ist die Sakristei angebaut. Auf dem Satteldach erhebt sich das Türmchen mit Spitzhelm, Kugel und Kreuz. Das geräumige Vorzeichen ist rundum mit Sitzbänken ausgestattet. Der von zwei Fenstern flankierte Eingang ist von einem Rundlicht und im Giebel von einer kreuzförmigen Lichtöffnung überhöht.
Das Innere ist durch das einfach gegliederte Chorgitter zweigeteilt. Das Schiff wird vom hellen Holz von Bänken, Brusttäfer, Empore und Decke geprägt. Die Wände werden durch aufgemalte Scheinlisenen, die ein ebenfalls gemaltes Gesims zu tragen scheinen, unterteilt. In der Kassettenholzdecke sind die Leidenswerkzeuge eingelassen. Der Chorbogen ist mit Dekorationsmalereien verziert. Der um eine Stufe erhöhte Chor wird von einem Tonnengewölbe gedeckt, das sich in Stichkappen gegen Fenster und Wände hin öffnet. Die Gräte und Gurten sind mit leichtem, farblich gefasstem Stuck verziert. Links des Altars ist seit der letzten Restauration eine Wandmalerei aus der Bauzeit um 1600, einen schwebenden Engel mit Stab darstellend, wieder sichtbar. Das Sandsteingewände der Sakristeitüre wird von einem gemalten Kreissegmentgiebel mit den Monogrammen der Namen Jesus und Maria überhöht.
Im Choraltar bewundern wir die Pietà, die 1609 von Dionys Calvaert (1540/45-1619) in Bologna geschaffen wurde. Vom nämlichen Maler stammen unter anderem die «Auferweckung des Lazarus» in der Klosterkirche St. Lazarus, Seedorf, und die «Beweinung Christi» im Beinhaus von Altdorf. Urner Gardeoffiziere in Bologna vermittelten den Kontakt zu dieser bedeutenden Künstlerwerkstatt. Das Bild in der Getschwiler Kapelle wurde von Azarias Püntener (um 1568-1631) gestiftet, weshalb der Künstler sein Konterfei samt Wappen links unten ins Bild setzte. Das Kunstwerk ist, dem italienischen Manierismus entsprechend, in eher dunklen Farben gehalten. Maria sitzt mit dem toten Jesus unter dem Kreuz. Johannes hält den Leichnam hilflos an den Schultern fest. Maria Magdalena hebt dessen linken Arm, die Hand zu küssen und mit Öl zu salben. Im Hintergrund öffnet sich eine Landschaft mit ummauerter Stadt und Berggipfeln. Der dunkel verhängte Himmel lässt die Sonne nur spärlich durchschimmern.
Der linke Seitenaltar zeigt die stillende Muttergottes, das Kind verlässt die Brust und wendet sich dem von Engeln herbei getragenen Kreuz zu. Im rechten Seitenaltar blicken wir auf eine Kreuzigung, das Kruzifix ist von Maria und Johannes beseitet. Beide Retabel sind mit den Stifterwappen Jauch und Tanner gekennzeichnet.
Im Halbrund des Chorgitters ist das figürliche Bild der Pietrà, deren Herz von einem Schwert durchbohrt ist. Zwei Leuchterengel stehen neben der Schmerzensmutter. Auf ihren Sockeln ist das Püntener-Wappen zu sehen. Vielleicht ist diese Figurengruppe jenes von Heinrich Arnold für die erste Kapelle gestiftete Altarbildnis «Unserer Frouwen Mitlyden». Entlang den Wänden des Kirchenraumes spricht der Kreuzweg aus dem frühen 20. Jahrhundert zum Besucher.
Würdigung
Die Kapelle «Zu den sieben Schmerzen Marias» in strahlend weissem Kleid ziert die eindrückliche Landschaft des Schächentals. Das Heiligtum ruht am alten Klausenweg und lädt die Menschen, Vorbeiziehende, Hilfesuchende, Wallfahrer ein zum Verweilen unter dem weiten Vorzeichen und zum Eintreten. Gottes Gegenwart wird spürbar, in der geadelten Schönheit des Ortes, in der Erhabenheit der sakralen Kunstwerke, im stillen Beten.
Autor: Hans Stadler-Planzer, Attinghausen Herausgegeben 2010 vom Kirchenrat Spiringen Bilder: JAthirampuzhayil